„Die Schwalben fliegen nach Afrika …
… da werden wir doch keine Ausnahme sein,
gleich morgen in der Fruah, gemma auf die Tour!“
Das denken wir uns im Herbst 2017, angelehnt an ein Lied von André Heller. „Gleich morgen“, das spielt es allerdings nicht bei uns. Um den Absprung überhaupt noch vor Weihnachten zu schaffen, beschließen wir, eine Fähre zu buchen. Der Termin fällt auf den 9. Dezember. Eine gute Wahl, das finden wir zumindest zum Zeitpunkt der Buchung Mitte November. Wie bei jeder Abreise, spitzt sich auch diesmal alles zu – allerdings noch extremer als sonst.
Nach den erfolgreichen Buchpräsentationen müssen wir uns noch um den Vertrieb, die Pressearbeit und die Auslieferung unseres neuesten Werkes „Inder-Kinder-Kabelbinder“ kümmern, außerdem die Buchhaltungen auf Stand bringen, den Garten und das Hausboot winterfest machen. Ich muss für den Lkw-Führerschein lernen, Peter fährt dreimal die Woche ins Krankenhaus zur Behandlung seiner Hautprobleme, einmal die Woche zur Physiotherapeutin wegen seiner Bandscheiben-OP im Sommer und natürlich wollen wir uns noch von der Familie und Freunden verabschieden. Als ob das nicht schon genug wäre, kauft Peter noch einen Mercedes-Hauber, den er selber nach Hause fahren will; läppische 1.000 km von Bochum nach Niederösterreich. Leider stecken die Bremsen und so nimmt Peter den Zug nach Hause und der Lkw kommt mit der Spedition.
Am 6. Dezember bricht Peter alleine Richtung Italien auf, ich kann leider nicht mitfahren, da ich bei der Führerscheinprüfung durchgefallen bin und am 7. Dezember nochmals antreten darf. Völlig erledigt, aber glücklich holt mich Peter am 8. Dezember in Savona ab, wir gönnen uns eine leckere Pizza und bemerken erst eine halbe Stunde nachdem wir das Lokal verlassen haben, dass Peter seine Tasche dort liegengelassen hat. Darin sind sein Pass und das Fährticket! Super! Es kommt noch besser: Die Pizzeria hat geschlossen, als wir dort ankommen. Um es kurz zu machen: Wir bekommen die Tasche samt Inhalt und schaffen es rechtzeitig auf die Fähre.
Das war vor drei Wochen, mittlerweile sind wir etwas ruhiger und entspannter geworden. Vom Sturm, Regen bis zu sommerlichen Temperaturen haben wir alles schon gehabt, wobei uns letzteres am Liebsten ist. Marokko ist ein herrliches und einfaches Reiseland. Wir erkunden die Medinas von Assilah, Rabat, Casablanca und Marrakesch, vergraben unsere Zehen im warmen Sand an der Atlantikküste (und August seine neuen Reifen), können uns gar nicht satt essen an den kulinarischen Spezialitäten Marokkos und treffen einige Freunde hier: Franz und Dani Deinbacher bringen mir quasi per Luftpost den neuen Führerschein und am Campingplatz in Marrakesch treffen wir Karl Lueger, mit dem wir nicht nur Weihnachten feiern, sondern auch zum Berbermarkt nach Ourika und zum Anima Garten von André Heller fahren.
So sehr wir die Städte und den Kulturreichtum Marokkos auch lieben, so sehr sehnen wir uns auch nach dem Land, der Natur. Lange halten wir es in den urbanen Gebieten nicht aus, wir brauchen die Weite. Und genau da sind wir nun gelandet. Zum Jahreswechsel. Es ist wunderschön hier in den Ausläufern des Hohen Atlas, und übrigens: Die Schwalben haben wir auch schon gesehen.
Begegnungen und Beziehungsprobleme
Marokko ist ein großes Land, der Süden ist dünn besiedelt und oft einsam. Und doch treffen wir immer wieder Reisende, oft mehrmals innerhalb von ein paar Wochen. Es gibt ein paar Nadelöhre oder Plätze, die man nicht missen will. Einer davon ist Tafraoute im Anti-Atlas, einer meiner Lieblingsplätze. Die Gegend spricht mich einfach an, sie ist wunderschön. Wir erkunden sie zu Fuß, mit dem Rad und unserem Reisewagen. Entdecken Gazellen und Füchse, bewundern den Sternenhimmel und den Schnee auf den Bergen und klettern über kleine und große Felsen, die herumliegen, als hätte man sie vom Himmel geworfen.
Nur schwer kann ich mich von dieser fantastischen Bergwelt losreißen, dennoch locken viele Pisten und Trockentäler, die nun ich mit August bewältigen möchte. Peter nimmt auf dem Beifahrersitz Platz als Navigator und Mentor. Meine Backen glühen als ich voll konzentriert steinige Flussbette befahre, mein Herz bleibt immer wieder kurz stehen, wenn ich schräge Abhänge bewältigen muss, in denen August sich unglaublich zur Seite neigt. Mit jedem Tag sammle ich wertvolle Erfahrungen, doch das Fahren ist anstrengend, das Gelände fordernd und die Asphaltstraßen verdammt schmal, vor allem, wenn ein Tankwagen entgegenkommt, der keinen Millimeter zur Seite weicht. Dann nehme ich doch lieber die sandige Passage, die mit der richtigen Geschwindigkeit und dem richtigen Gang echt Spaß macht!
Wie auch immer, am Abend bin ich hundemüde. Doch nun fangen die richtigen Probleme erst an. „Was gibt es heute zu essen?“, frage ich Peter, der mich nur mit großen Augen ansieht. „Hast du den Wein eingekühlt?“, möchte ich als nächstes wissen. Durch den Erwerb des Lkw-Führerscheins und meine Fahrtätigkeit habe ich unsere Rollen ziemlich durcheinander gebracht. Bisher war ich die Navigatorin, die Putzfrau und Köchin, die Einkäuferin und die Wäscherin. Peter war Fahrer und Mechaniker. Gut, letzteres ist er immer noch und wird er auch bleiben. Aber sonst? Wir stehen vor großen Herausforderungen …
Das Einzige, was Peter wirklich gut kochen kann, ist Kaffee. Für das Frühstück ist er damit schon aus dem Schneider. Für den Rest müssen wir uns wohl noch etwas einfallen lassen.
Apropos Frühstück: In den letzten Wochen sind wir kulinarisch verwöhnt worden, denn jeden zweiten Morgen gab es Spiegeleier mit Speck, zubereitet von unserem Freund Peter, der mit Geppetto angereist ist und mit dem wir gemeinsam in die Wüste fahren. Zwei Hauber in der Sahara! Nicht nur schön anzusehen, sondern auch äußerst praktisch, wenn einer mal wieder im Sand stecken bleibt. Wir fahren auf einsamen Routen nahe der algerischen Grenze, in zehn Tagen begegnet uns nur ein Fahrzeug. Dafür begleiten uns nachts unzählige Sterne – auch Sternschnuppen und während des Tages freche, schwarze Käfer und ein paar Kamele. Die Wüste hat uns abermals verzaubert!
Campingplätze suchen wir nur auf, wenn wir Wäsche waschen müssen oder uns mit anderen Reisenden treffen, wie zum Beispiel Anne & Helmut und Moni & Mike. Wir haben sie exakt vor neun Jahren in Marokko kennengelernt und genießen die Zeit jetzt mit ihnen genauso wie damals. Es gesellen sich noch mehr Deutsche dazu, mit denen wir uns gut verstehen: Julia & Fritz in der roten Feuerwehr (ein Mercedes LP 710 Stirnsitzer), Sabrina & Oli mit ihrem Mercedes 310 Iglhaut Allrad und auch ein Österreicher ist mit von der Partie: Ronald & Hündin Ruby mit einem Toyota Hilux Camper. Nach ein paar Tagen freuen wir uns aber wieder auf das Unterwegssein und auch auf das Alleinesein.
Border run
Dass wir überhaupt nach Marokko fahren, hat sich kurzfristig ergeben. Dass das dreimonatige Visum nicht reichen würde, das war uns sehr rasch klar. Nicht so einigen Freunden von uns: „Drei Monate Marokko?! Wird euch da nicht langweilig??“, lauteten die häufig gestellten Fragen. Ich glaube, wir könnten mehrere Jahre in diesem Land verbringen und immer noch nicht genug haben.
Mehrmals versuchen wir unsere Visa zu verlängern, jedoch ohne Erfolg. Schließlich machen wir einen sogenannten „border run“. Wir fahren von Südmarokko an die Mittelmeerküste nach Melilla, einer spanischen Enklave, und reisen somit in die EU ein. Zwei Tage später sind wir wieder in Marokko – mit einem abermaligen dreimonatigen Visum und wir sind froh, wieder in Afrika gelandet zu sein. Denn nur fünf Kilometer von der Grenze entfernt läuft das Leben schon etwas entspannter und ruhiger ab, hat Zeit eine andere Bedeutung und die Menschen einen anderen Zugang zur Welt. Mit einem Lächeln, das uns viele Marokkaner ins Gesicht zaubern, indem sie uns mit ausgestrecktem Daumen zu verstehen geben, dass sie sich freuen, dass wir ihr Land besuchen, fahren wir erneut Richtung Süden.
Noch einmal wollen wir in die Wüste, wir haben eine Sehnsucht nach Weite und dem scheinbaren Nichts, das aber dennoch so viel offenbart. Wie gut, dass wir rechtzeitig zum Nomadenfestival in M’hamid sind und dort nicht nur unseren Freund Franz treffen, sondern auch eine steirische Familie, unterwegs mit drei Kindern in einem genialen Fahrzeug: einem Mercedes 911, von den Mädchen einfach Benz genannt.
Nach knapp zwei Wochen in der Wüste, vertreiben uns die Sandstürme und katapultieren uns in den Hohen Atlas zum Fuße des Jebel Toubkal, des höchsten Berges Marokkos. Zum Wandern bleibt uns nicht viel Zeit, noch weniger als wir spät abends mit August einen Felsvorsprung touchieren, der uns die gesamte Markise herunterreißt. Nebenbei bemerkt: Peter war am Steuer.
In Marrakesch repariert der besagte Chauffeur den Schaden und dann machen wir uns langsam auf den Nachhauseweg: durchs Rifgebirge an die Mittelmeerküste, vorbei an blühenden Orangenhainen in Spanien, entlang malerischer Bergstraßen in den Pyrenäen, durch zauberhafte Dörfer in der Camargue, Villenviertel an der Cote d’Azur und Riviera, durch die fruchtbare Poebene bis ins sommerliche Österreich.
Die fünf Monate, die wir unterwegs waren, kommen uns eher wie fünf Wochen vor. August der Reisewagen ist ohne Probleme durch Marokko gerollt, wir haben wieder größtes Vertrauen in unseren Oldtimer! 13.000 Kilometer haben wir zurückgelegt, mehr als wir uns dachten. Nun hat sich unser Mercedes ein ordentliches Service verdient, bevor wir wieder den Anlasser drücken.