Talentierte Wahrsagerin oder Zukunftsforscherin bin ich keine. Habe ich Anfang Jänner noch ganz deutlich Mauretanien als nächstes Reiseziel vor uns gesehen, so war es in Wirklichkeit Österreich. Kurz bevor wir Dakhla verlassen wollen ereilen uns schlechte Nachrichten von zu Hause. Peters Bruder wird nach einer Skitour vermisst. Wir sitzen wie auf Nadeln, warten noch zwei Tage, hängen im Internet und recherchieren. Die Lawinengefahr steigt, die Hoffnung sinkt. Wir lassen August zurück und fliegen nach Österreich. Peters Bruder wird nach 11 Tagen tot geborgen. Das untätige Warten hat ein Ende, jetzt haben wir Gewissheit. Das Schicksal schlägt nochmals hart zu: Peters Vater stirbt – nun müssen wir uns von zwei Familienmitgliedern verabschieden. Die vier Wochen in Österreich zehren an unseren Nerven, rauben uns viel Energie. Die Zeit scheint still zu stehen und gleichzeitig zu fliegen. Wir sind antriebslos und schaumgebremst. Das trübe und matschige Winterwetter leistet zusätzlich einen Beitrag zu unserer Stimmung.
Anfang Februar landen wir in Dakhla. Wir freuen uns auf Sonne, Wärme, aber auch auf das Unterwegssein, auf Weite und Einsamkeit. Und nicht zuletzt auf August. Wir finden unser Fahrzeug genauso vor wie wir es zurückgelassen haben, parken direkt am Meer, wollen uns erholen bevor wir weiterreisen und – werden krank. Fieber, Kopf-und Muskelschmerzen, Schnupfen, Husten und Bronchitis. Das volle Programm. Aber wen wundert es? Es war alles doch ein bisschen viel zu Hause. Wir sind anfälliger und nicht ganz bei Kräften. Wir denken viel nach, holen uns Länderinformationen im Internet und von anderen Reisenden. Viele sind nicht gut: in Kamerun gibt es Unruhen, ebenso in Nigerias Nordosten, in Burkina Faso sei etwas passiert, in Mali gibt es Restriktionen. In unserer labilen Situation machen wir uns zu viele Gedanken, lassen uns verunsichern. Zudem wird es langsam heiß, wir sind etwas spät dran. Reisepartner mit Lkw haben wir auch keinen mehr, nicht optimal für die Wüste. Sollen wir überhaupt weiterfahren?
Glücklicherweise schlägt unsere zögernde Stimmung um, denn wenn man alle Meldungen und Warnungen, vor allem jene des Außenamtes, zu ernst nimmt, dann bleibt man am besten überhaupt zu Hause. Mit dem Grenzübertritt nach Mauretanien sind wir in Afrika gelandet. Die Behördengänge ziehen sich in die Länge, der Ablauf ist für uns undurchschaubar, die Büros sind spartanisch und heruntergekommen, Müll liegt überall, zu kaufen gibt es wenig und vor dem Zollamt müssen wir sogar fürs Parken zahlen! Mauretanien begrüßt uns mit einem Sandsturm, der bis auf wenige Tage bis zu unserer Ausreise andauert. SAND, WIND UND STERNE – der Buchtitel von Antoine de Saint Exupery passt gut zu diesem Wüstenland. „Fliegen und Staub hast du vergessen zu erwähnen“, meint Peter sarkastisch. Für Mauretanien muss man sich Zeit nehmen und vor allem abseits des Asphaltes reisen. Man muss rein in die Wüste, um den Zauber zu spüren und die Schönheit zu begreifen. Um die Einfachheit, die Leere schätzen zu lernen.
Entlang der Geleise der längsten und schwersten Eisenbahn der Welt fahren wir Richtung Osten. Die Piste ist teilweise gut zu befahren, teilweise sehr sandig und manchmal gar nicht vorhanden. Nach ein paar Tagen erblicken wir Ben Amira, den drittgrößten Monolithen der Welt. Dunkelgrau glänzend und größtenteils glatt wie die Haut eines Walfisches steht der 450 Meter hohe Berg inmitten der Wüste. Einige Kilometer entfernt befindet sich Ben Aisha, ein weiterer Monolith, den man ganz gut besteigen kann. Eine unglaublich schöne Gegend!
Wir besuchen die alten Oasenstädte Chinguetti und Ouadane, fahren durch weichsandige Wadis, die momentan viel Futter für die zahlreichen Kamele und riesigen Ziegenherden bieten. Befahren felsige Hochplateaus mit tief eingeschnittenen Tälern, kommen durch kleine Dörfer und Nomadensiedlungen, wo man uns meist nicht mit „Bonjour“, sondern mit „Cadeau, donnez moi un cadeau“ begrüßt, also mit „Geschenk, gib mir ein Geschenk“. An entlegenen Plätzen laufen plötzlich Frauen auf uns zu und eröffnen ihre Boutique mit Schmuck- und Lederwaren, antiken Pfeilspitzen und Steinwerkzeugen, Sandsteinprodukten und Stoffen. Wir sind ein gefundenes Fressen für sie, denn Touristen kommen nicht allzu viele nach Mauretanien. Fasziniert sind wir auch vom Guelb er Richat, einem Krater mit 40 Kilometer Durchmesser und den letzten Wüstenkrokodilen. In Matmata haben wir das Glück und beobachten gleich 18 Tiere an einem Tag. Faul liegen sie am Ufer oder schwimmen flink im trüben Wasser.
Viele Kilometer legen wir auf Pisten zurück, auf den tiefsandigen braucht August mehr als 50 Liter Diesel auf 100 Kilometer. Die felsigen Passagen und Rüttelpisten fressen an Augusts Reifen und belasten das gesamte Fahrgestell. Peter kontrolliert und beschaut unseren Lkw regelmäßig, sein Gesichtsausdruck ist manchmal etwas angespannt, um nicht zu sagen unglücklich. Nach der letzten Inspektion offenbart er mir die ganze Wahrheit: Die Rostschäden am Chassis sind enorm, der Hilfsrahmen muss erneuert werden. Die Belastungen der Geländefahrten waren einfach zu groß. Was sollen wir tun? Eine notdürftige Reparatur in Mauretanien? Oder eine gründliche in Österreich und im Herbst nochmals starten? Aufgrund Peters Rückenproblemen, den stark steigenden Temperaturen und fehlender Ausrüstung (z.B. Stapler) entscheiden wir uns schweren Herzens für die zweite Variante.
Anstatt nach Mali einzureisen, fahren wir in Mauretaniens Hauptstadt Nouakchott. Sehenswürdigkeiten gibt es dort keine, außer die Märkte und die Menschen selbst. Für Peter gibt es allerdings noch ein Highlight: die Fahrzeuge. Bei manchen wundern selbst wir uns, dass sie immer noch fahren. Dagegen ist August ein Neuwagen. Wenn man wissen will, wie ein kaputtes, schrottreifes Fahrzeug wirklich aussieht, dann muss man nach Mauretanien reisen. Wozu braucht man Spiegel, Scheinwerfer, Scheiben, Kotflügel, Innenverkleidungen, Motorhauben, Türen, Reifen mit Profil, vier gebremste Räder – eines reicht doch!, Dachgepäcksträger – die Säcke liegen doch viel besser direkt am Dach, vor allem wenn es schon eine Delle hat oder rostfreie Türen bzw. Rahmenteile?
450 Kilometer lang ist die Asphaltstraße zur marokkanischen Grenze, sie führt durch eine öde Landschaft. Ständiger Begleiter ist der Wind und somit auch der Sand. Der marokkanische Zöllner fragt uns, ob wir etwas zu verzollen hätten. Peter schüttelt den Kopf und meint, das sei schier unmöglich, denn in Mauretanien gäbe es nicht allzu viel zu kaufen. Der Beamte lacht laut auf und übersetzt seinem Kollegen. Ich komme mit einem anderen Zollbeamten ins Gespräch, seine Heimatstadt ist Casablanca. Gott sei Dank müsse er nur mehr ein paar Monate hier bleiben, dann könne er zurück nach Casa. Ansonsten würde er hier in Guerguerat verrückt werden, das sei Afrika hier!
Somit haben wir Afrika also schon wieder verlassen, sind im Urlaubsland Marokko gelandet. Doch wir kommen wieder …